1/16/2006

Soziale Interaktion

Soziale InteraktionDas wohl schwerwiegendste Problem für Menschen mit AS ist das des beeinträchtigten sozialen Interaktionsverhaltens. Beeinträchtigt sind zwei Bereiche, zum einen die Fähigkeit, zwanglose Beziehungen zu anderen Menschen herzustellen, und zum anderen die nonverbale Kommunikation.
Kindern und Jugendlichen fehlt in der Regel der Wunsch, Beziehungen zu Gleichaltrigen herzustellen. Dieser Wunsch entsteht normalerweise erst in der Adoleszenz, meist fehlt dann aber die Fähigkeit dazu.
Die Beeinträchtigungen im Bereich der nonverbalen Kommunikation betreffen sowohl das Verstehen nonverbaler Botschaften anderer Menschen als auch das Aussenden eigener nonverbaler Signale.
Als besonders problematisch erweisen sich die Schwierigkeiten im Bereich des sozialen Interaktionsverhaltens, da Menschen mit Asperger-Syndrom nach außen hin keine offensichtlichen Anzeichen einer Behinderung haben. So können selbst Menschen, die sich ansonsten durch Toleranz gegenüber ihren behinderten Mitmenschen auszeichnen, die Schwierigkeiten von Menschen mit Asperger-Syndrom als bewusste Provokation empfinden. Wenn etwa ein Betroffener auf eine ihm gestellte Frage nur mit Schweigen reagiert, wird dies oft als Sturheit und Unhöflichkeit gedeutet.
Im Alltag machen sich die Schwierigkeiten im Bereich des sozialen Interaktionsverhaltens auf vielfältige Art bemerkbar. Menschen mit AS können schlecht Augenkontakt mit anderen Menschen aufnehmen oder halten. Sie vermeiden Körperkontakt, wie etwa Händeschütteln. Sie sind unsicher, wenn es darum geht, Gespräche mit anderen zu führen, besonders wenn es sich um einen eher belanglosen Smalltalk handelt. Soziale Regeln, die andere intuitiv beherrschen, verstehen Menschen mit AS nicht intuitiv, sondern müssen sie sich erst mühsam aneignen. Daher haben Menschen mit AS oft keine oder kaum Freunde. In der Schule etwa sind sie in den Pausen lieber für sich, weil sie mit dem üblichen Umgang anderer Schüler untereinander nur wenig anfangen können. Im Unterricht sind sie in der Regel wesentlich besser im schriftlichen als im mündlichen Bereich. In der Ausbildung und im Beruf macht ihnen der fachliche Bereich meist keine Schwierigkeiten, nur der Smalltalk mit Kollegen oder der Kontakt mit Kunden. Auch das Telefonieren kann Probleme bereiten. Im Studium können mündliche Prüfungen oder Vorträge große Hürden darstellen. Da auf dem Arbeitsmarkt wohl in allen Bereichen Kontakt- und Teamfähigkeit genauso viel zählt wie fachliche Eignung, haben Menschen mit AS Probleme, überhaupt eine geeignete Stelle zu finden. Viele sind selbstständig, jedoch können sie sich bei Problemen mit Kunden kaum durchsetzen, etwa wenn ein Kunde nicht bezahlt. In einer Werkstatt für behinderte Menschen indes wären sie völlig unterfordert. Die meisten Menschen mit AS können durch hohe Schauspielkunst nach außen hin eine Fassade aufrecht erhalten, sodass ihre Probleme auf den ersten Blick nicht direkt sichtbar sind, jedoch bei persönlichem Kontakt durchscheinen, etwa in einem Vorstellungsgespräch. Menschen mit AS gelten nach außen hin zwar als extrem schüchtern, jedoch ist das nicht das eigentliche Problem. Schüchterne Menschen verstehen die sozialen Regeln, trauen sich aber nicht, sie anzuwenden. Menschen mit AS würden sich trauen sie anzuwenden, verstehen sie aber nicht und können sie deshalb nicht anwenden. Die Empathie ist bei Menschen mit AS eingeschränkt. Menschen mit AS können sich schlecht in andere Menschen hineinversetzen und deren Stimmungen oder Gefühle an äußeren Anzeichen ablesen. Überhaupt bereitet es ihnen Schwierigkeiten, zwischen den Zeilen zu lesen und nicht-wörtliche Bedeutungen von Ausdrücken oder Redewendungen zu verstehen. Dadurch können sie im sozialen Umgang anecken, da sie für andere Menschen offensichtliche nonverbale Signale nicht verstehen. Auch können sie in gefährliche Situationen geraten, da sie äußere Anzeichen, die auf eine bevorstehende Gefahr etwa durch Gewalttäter hindeuten, nicht richtig deuten können.
Stereotype Verhaltensmuster und SonderinteressenRepetitive und stereotype Verhaltensmuster zeigen Menschen mit AS in ihrer Lebensgestaltung und in ihren Interessen. Das Leben von Menschen mit AS ist durch ausgeprägte Routinen bestimmt. Werden sie in diesen gestört, kann das zu erheblichen Beeinträchtigungen führen. Menschen mit AS sind meist wenig flexibel und fallen aus der Bahn, sobald sie in ihren Routinen gestört werden. In ihren Interessen sind Menschen mit AS teilweise auf ein Gebiet beschränkt, auf dem sie meist ein enormes Fachwissen haben. Ungewöhnlich ist das Ausmaß, mit dem sie sich ihrem Interessensgebiet widmen; für andere Gebiete als das eigene sind sie meist nur schwer zu begeistern. Da Menschen mit AS meist gut logisch denken können, liegen ihre Interessensgebiete oft im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich, aber auch andere Gebiete sind möglich.
Repetitive und stereotype Verhaltensmuster sowie ausgeprägte Sonderinteressen können sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich bringen. Ein gut durchorganisierter Alltag gibt Halt, werden Routinen aber um ihrer selbst Willen gelebt, kann das zum Problem werden. Ausgeprägte Sonderinteressen können die Grundlage für eine berufliche Karriere bilden, können aber auch zu einem verengten Denken führen.
Komorbide SymptomeZusammen mit Autismus können eine Reihe komorbider Symptome auftreten. Menschen mit Autismus neigen üblicherweise zu stark visuellem Denken. Synästhesie kommt bei ihnen häufig dergestalt vor, dass sie Sinneswahrnehmungen bestimmte Farben zuordnen. Menschen mit Autismus sind empfindlich gegenüber Außenreizen, wie etwa Berührungen; andererseits haben sie üblicherweise ein verringertes Schmerzempfinden. Während der Adoleszenz oder im frühen Erwachsenenalter treten bei Menschen mit Autismus teilweise psychotische Episoden auf. Mit dem Asperger-Syndrom können motorische Auffälligkeiten auftreten. Positive Auswirkungen von Autismus sind beispielsweise eine besondere Kreativität, Neigung zur Ehrlichkeit und großes Durchhaltevermögen.
Bei Menschen mit Autismus ist die Intelligenz anders als bei neurologisch typischen Menschen nicht gleichmäßig ausgeprägt. Während sie im Gebiet ihres Spezialinteresses oft ein enormes Wissen ansammeln und gut logisch und systematisch denken können, sind ihre Fähigkeiten im sozialen und emotionalen Bereich unterentwickelt. Diese ungleichmäßige Intelligenzverteilung erklärt auch, warum manche ansonsten geistig behinderte Menschen auf einem eng umgrenzten Gebiet herausragende Fähigkeiten entwickeln können.